Mannheim. Die Nabelschnur hat in vielen Kulturen metaphorische Bedeutung. Medizinisch gilt sie als Versorgungsleitung zwischen Mutter und dem im Bauch heranwachsenden Kind. Nicht von ungefähr heißt eine Innovation im Kreißsaal „Concord“ – abgeleitet von „con“ (mit) und „Cord“ (Nabelschnur). Eine solche Erstversorgungseinheit hat an der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) der ECMO-Förderverein finanziell ermöglicht. Florian Kipfmüller, Chef der Neonatologie und pädiatrischen Intensivmedizin, spricht von „einem Meilenstein“ bei der Versorgung schwerstkranker Neugeborener.
Gezielte Unterstützung direkt nach der Geburt
Davon haben bislang in der UMM 22 Babys bei einem schwierigen Start ins Leben profitiert – insbesondere solche mit unterentwickelter Lunge aufgrund einer Zwerchfellhernie. Und das bedeutet: Durch eine nicht vollständige Trennung von Bauch und Brusthöhle können sich Organe verlagern und dadurch die Lungen zusammendrücken.
Ob eine Geburt natürlich oder per chirurgischem Eingriff erfolgt – für ein Baby bedeutet sie stets eine riesige Herausforderung. Schließlich endet mit Durchtrennen der Nabelschnur abrupt die mütterliche Komplettversorgung, weshalb der Winzling selbständig atmen muss. Üblicherweise erfolgt das Abnabeln nach etwa einer guten Minute – eine Zeitspanne, die für unreife Frühgeborene oder Säuglinge mit angeborener Fehlbildung häufig nicht ausreicht, um die Eigenatmung in Gang zu setzen. Das Lungenvolumen solcher Risikobabys, so Florian Kipfmüller, könne um ein Viertel bis zur Hälfte vermindert sein. Umso mehr begeistert ihn, dass die rollende Concord-Einheit intensivmedizinische Erstversorgung ermöglicht, ohne dass der Säugling abgenabelt werden muss.
Der „Birth Trolley“ kann an die Mama geschoben und die Baby-Liegeschale über deren Bauch positioniert werden. Die Kreißsaal-Einheit bietet Technik, die Monitoring für Herzaktivität (EKG) und Sauerstoffsättigung ermöglicht, außerdem Geräte zur Atemsicherung und eine vor Auskühlung des Neugeborenen schützende Wärmelampe.
Der Clou: Ein „Frühchen“ oder ein mit Risiken auf die Welt geholter Säugling bleibt erst mal an der biologischen Versorgungsleitung. „Bis zu zehn Minuten“, erläutert Florian Kipfmüller. In dieser für die medizinische Unterstützung superwertvollen Zeit bleibt der Kreislauf zur Plazenta erhalten – und damit zu jenem funktionsreichen Wunderwerk, das in Mamas Bauch die Versorgung des heranwachsenden Babys gewährleistet. „Das sauerstoffangereicherte Blut in der Plazenta wird zum Neugeborenen rübergezogen“, führt der Klinikchef aus. Kurz nach der Geburt befinden sich im Mutterkuchen noch etwa 50 Prozent dieses „besonderen Saftes“ vom Kind.
Der Neonatologe sieht nicht nur medizinische Vorteile – auch psychologische: Weil Eltern nicht ausgeschlossen sind und obendrein ihr Baby als wichtigen Erstkontakt berühren können, ehe es verlegt wird, beispielsweise in einen Brutkasten (Inkubator).
Mannheimer Neuheit rettet Neugeborene mit Zwerchfellhernie
Die Universitätsmedizin Mannheim hat sich weltweit zu einem der führenden Kompetenzzentren beim Behandeln vorgeburtlicher Zwerchfellhernien entwickelt. Die fatale Lücke in dem schmalen Trennmuskel von Brust- und Bauchraum wird inzwischen häufig beim Schwangerschafts-Ultraschall entdeckt. In der UMM-Kinderklinik, die eng mit dem vor Ort ansässigen Deutschen Zentrum für Fetalchirurgie kooperiert, ist es möglich, noch in Mamas Bauch das Wachstum extrem kleiner Atmungsorgane durch eine temporäre Abdichtung der Luftröhre zu fördern: Ein winziger Ballon, der minimalinvasiv über die Gebärmutter eingeführt wird, soll erreichen, dass Flüssigkeit nicht länger aus der Lunge ins Fruchtwasser entweicht, sondern diese ausdehnt. Für fast alle im Mutterleib behandelten Babys mit Zwerchfellhernie hat sich nach der Geburt als überlebenswichtig erwiesen, dass zunächst ein Hightech-Verfahren das Atmen übernimmt – nämlich ECMO, was für „Extrakorporale Membranoxygenierung“ steht.
Die Concord-Einheit ermöglicht noch an der Nabelschnur das Einleiten einer solchen Beatmungstherapie außerhalb des Körpers. Im Mai hat die Mannheimer Kindermedizin gewürdigt, dass die fast schon an ein Wunder grenzende „Atembrücke“ zum tausendsten Mal bei schwerstkranken Neugeborenen angewendet wurde – in Dreiviertel aller Fälle erfolgreich. Der von vielen dankbaren Familien getragene ECMO-Förderverein hat die Innovation für den Kreißsaal gestiftet.
Laut UMM hat der „Birth Trolley“ mehrfach eine besondere Kaiserschnittentbindung beim sogenannten CHAOS-Syndrom unterstützt. Dabei handelt es sich um eine seltene Fehlbildung mit Verschluss der oberen Atemwege. Ein betroffenes Baby wird nur teilweise aus Mamas Bauch geholt und bleibt mit der Plazenta verbunden, damit es während des operativen Freilegens eines Atemweges weiterhin mit Sauerstoff versorgt wird. Eine derartige „EXIT“-Entbindung“ (EX Utero Intrapartum Treatment) erfordert ein hoch spezialisiertes Team, bei dem verschiedene Disziplinen im wahrsten Sinne des Wortes Hand in Hand zusammenarbeiten. Das gilt auch, wenn bei Neugeborenen mit Loch im Zwerchfell üblicherweise zwei Tage nach der Geburt beziehungsweise nach einer ECMO-Therapie das operative Verschließen der Lücke erfolgt.
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